Montag, 21. April 2008

#13 Kinder Ambatos


Joselyn ist 11 Jahre, geht aber erst in das dritte Jahr der Grundschule. Nachmittags kommt sie in die Fundación Don Bosco am Terminal, um ihre Hausaufgaben zu erledigen. Sie hat sieben Geschwister, ihre aufgeweckte kleine Schwester Diana und ihr kleiner Bruder Patricio besuchen ebenfalls unser Projekt. Die Kinder stammen aus einer armen Familie, meine Kollegin und ich vermuten, dass sie auch nicht genug zu Essen haben, denn einmal saß Diana unterm Tisch und aß vom schmutzigen Boden Popcorn, die einem anderen Kind versehentlich runtergefallen sind. Ein andermal schmiss ein Bub im Projekt absichtlich Brot zu Boden. Meine Kollegin schimpfte ihn und hob das Brot auf, um es wegzuwerfen, aber Diana bat darum und aß es komplett auf.
Die Mutter arbeitet tagsüber und der Vater ist Alkoholiker. Zuhause kann den Kindern keiner bei den Hausaufgaben helfen. Die Kinder wirken sehr vernachlässigt, tragen schmutzige Kleidung und haben Läuse und Schuppen im ungewaschenen Haar.
Joselyn hat außerdem Lernschwierigkeiten, vielleicht ist sie sogar geistig ein wenig beeinträchtigt. Sie kann immer noch nicht schreiben und kennt auch die Zahlen nicht. Sie verwechselt oft das „n“ mit dem „e“ und damit sie ein Wort schreibt muss man es ihr sehr, sehr langsam vorsagen, oder sogar Buchstabe für Buchstabe diktieren. In der Schule hat man sie vermutlich aus Mitleid aufsteigen lassen, denn der verlangte Stoff entspricht nicht ihren Fähigkeiten. Momentan lernt sie Multiplikationen und ist völlig überfordert. Sie kann sich unter einer abstrakten Zahlenfolge nichts vorstellen, denn sie hat schon Schwierigkeiten mit den Zahlen von 1 bis 10. Zweistellige Zahlen kann sie außerdem nicht einmal lesen. Ich bin sehr pessimistisch, dass sie dieses Jahr schaffen wird.
Leider haben wir bis jetzt noch nicht die Gelegenheit gehabt, mit ihren Eltern Kontakt aufzunehmen, denn es wäre gut für sie, im nächsten Jahr in unser Centro Pedagogico Don Bosco zu wechseln.

Ein Bub, der zu uns zum Terminal kommt, um seine Hausaufgaben zu machen, heißt Richard. Seine Eltern haben ihn verlassen und er lebt mit seiner Großmutter. Er geht in das zweite Jahr der Grundschule und hat das Jahr schon zweimal verloren, ein drittes Mal darf nicht wiederholt werden.
Er kann zwar schnell abschreiben, versteht aber nicht, was er schreibt, denn er kann nicht lesen. Ich habe schon mehrmals versucht, ihm zu helfen. Einmal wollte ich ihm die Vokale beibringen, aber es war, als würde ich gegen eine Wand reden. Richard konzentriert sich nicht, er gibt mir immer Antworten, ohne nachzudenken, rückt unruhig auf seinem Stuhl hin und her und quängelt. Er will nicht lernen.
Vor einigen Wochen ist seine Großmutter verärgert ins Projekt gekommen und hat sich beschwert. Sie hat uns Vorwürfe gemacht und gesagt, dass wir Richard doch lesen lassen sollen, was er schreibt, denn sie könne nicht lesen. Wir haben der Großmutter erklärt, dass wir unser Möglichstes versucht haben, doch er sei einfach nicht aufnahmefähig. Die Frau antwortete: „Dann schlagt ihn halt!“. Die Erziehungsmethoden mancher Menschen sind schon schockierend. Ich konnte nicht fassen, dass die Großmutter von uns verlangte, ihr Enkelkind zu schlagen.
Die Erfahrung, die ich mit Richard gemacht habe, ist das Gefühl von Resignation. Ich mag Richard, ich hätte ihm wirklich gerne Lesen beigebracht, aber es gibt offenbar Kinder, denen kann man nicht helfen. Eigentlich sollte die Wissbegierigkeit einem jeden Kind innewohnen, aber es gibt scheinbar Ausnahmen. Richard ist ein Bub, der nicht lernen will, der sich dagegen sträubt und nichts aufnehmen will. Ich habe mich damit abgefunden, dass ich in so einem Fall auch nichts machen kann, denn es liegt nun an ihm, einen Schritt weiterzugehen.

Mittwoch, 2. April 2008

Früüühling!

Hediho an alle ...

ja, endlich endlich ist Ende April auch in Litauen der Frühling eingekehrt. Und zwar so richtig, mit 13 Grad plus, Vogelgezwitscher und Sonnenschein. War auch wirklich Zeit, um ehrlich zu sein, ist mir der dauernde Nieselregen und Schnegestöber Ende März doch schon ein wenig auf die Nerven gegangen ... aber nun! - Kriechen alle aus ihre Winterhöhlen hervor und man scheint richtig zu spüren, dass alle aktiver werden und mit mehr Energie durch die Straßen laufen. Das tut gut :)

Allerdings war das Sonnenwetter auch nur 3 Tage lang hier bei uns, heut ist es schon wieder total bewölkt und von Sonne keine Spur ... tja, that's Lithuania. Weiß ich mittlerweile ja schon.

So lange bin ich ja auch noch gar nicht zurück in Kaunas ... nachdem ich letzte Woche 4 Tage lang – mit 4 anderen (männlichen) Volunteers aus Deutschland, Italien und Österreich – in der norwegischen Hauptstadt Oslo verbracht habe. Waren schöne Tage, auf jeden Fall, auch wenn das Wetter ziemlich fies und mies war ... Regen und Schnee eben wieder mal.



Einige Impressionen dieser Reise -
--> Oslo ist teuer, aber so richtig. Laut Norwegern soll es sogar eine der teuersten Städte der Welt (!) sein – glaub ich sofort! Preise wie (umgerechnet) 18 Euro für eine Pizza, 9 Euro für ein kleines Bier in einem Pub, 8 Euro für eine Tageskarte für die Öffis oder 20 Euro für 15min Zugfahrt haben uns anfangs doch ganz schön erschreckt ... irgendwann war uns das dann aber beinahe egal, schließlich kommt man ja auch nicht alle Tage nach Oslo :) Und der Satz „Hey, that's really cheap!!“ wurde zum Running-Gag ... :)

--> Oslo ist hip und cool und trendy. Allein an den Secondhandshops merkt man, dass man nicht mehr in Litauen ist. Manche der Klamotten sahen aber echt so aus, als wären sie einer Komödie aus den 60er-Jahren entsprungen. Ich hab mich amüsiert und sicher eine Stunde lang dort verbracht :)

--> Ich hatte das Gefühl, dass Norwegen (wahrscheinlich Skandinavien im Allgemeinen) dem Westen Europas nochmals 10 Jahre voraus ist ... es gibt kaum Arbeitslosigkeit (im Gegenteil, es leben einfach zu wenig Menschen in diesem Land) ... ein super Sozial- und Bildungssystem ... der Mindestlohn liegt bei 1200 Euro ... keine Studiengebühren ... wahrscheinlich ist mir das auch im Vergleich zu Litauen nochmals stärker aufgefallen, aber es erschien mir alles so organisiert, so diszipliniert, mit System, die Menschen so extrem hilfsbereit und freundlich (und ihr Englisch ist unglaublich!)

--> Grönland, ein Viertel Oslos hat es mir besonders angetan. Es ist das Viertel der Einwanderer (und davon gibt es richtig viele) ... an den Straßen reihen sich Obsstände, libanesische Cafes, türkische Restaurants und indische Kleidungsläden aneinander ... die Stimmung ist fast schon orientalisch. Besonders eindrucksvoll war der Moment, in einem Cafe zu sitzen (der Besitzer kam aus dem Libanon), sich umzublicken und zu merken, dass unter all den vielen anderen Gästen keiner mit weißer Hautfarbe ist. Wow.

--> Ich will wiederkommen und habe meine Idee der Skandinavienreise mehr im Kopf als zuvor! Nicht nur Oslo ... ich will Mitternachtssonne erleben, Fjorde sehen und ans sogenannte „Ende der Welt“ fahren ...

Soweit zu Oslo :)

Zuvor haben mich meine Eltern in Kaunas besucht, war sehr schön, sie hier zu haben, auch wenn die Zeit relativ kurz war. Ein bisschen gereist sind wir in Litauen, 2mal waren sie in Lopselis mit (meinen Papa hätten sie beinahe dort behalten, weil er so gut mit den Kids umgehen konnte :)), geplaudert haben wir viel – schön! :) Auf jeden Fall haben sie ein Stück meines Lebens hier mitbekommen und können sich nun wohl doch ein viel besseres Bild machen ...



Ein langes Wochenende (Ostern), Ostermontag. Ich wache auf, „Was mach ich heute nur?“ - Eine Eingebung, „Ich will das Meer sehen“. Mit Rucksack und Schlafsack mache ich mich auf, gurke mit dem Bus stundenlang durch Litauen, weiter nach Klaipeda und von dort mit der Fähre auf die Kurische Nehrung. Ich sage euch, die litauische Küste ist ein Geheimtipp. Endlos langer und schöner Sandstrand. 4 Stunden spazierte ich am Meer entlang, sammelte Bernstein, saß im Sand und schrieb Briefe, und erlebte am Ende noch einen wunderschönen Sonnenuntergang.



Nicht ganz geplant verbrachte ich dann 4 Stunden abends wartend am Busbahnhof in Klaipeda, dachte schon, dass ich festsitzen würde, als dann um Mitternacht endlich ein Bus mit Weißrussen auf dem Weg nach Minsk über Kaunas fuhr und mich mitnahm :) Puh.



Irgendwie ist es dauernd abenteuerlich und spannend ... gestern war ich in Vilnius mit Anne (Deutschland) und Masha (Moldawien) ... Trampen funktionierte toll, in Uzupis (der unabhängigen Republik in Vilnius) war Unabhängigkeitstag und wir bekamen wirklich unsere erwünschten Stempel in den Reisepass ... und ich weiß wieder, warum ich hauptsächlich trampe. Wegen der Leute, der Begegnungen, die ich mache.
Bei der Hinfahrt ein junger Litauer, der uns allen Eis kaufte. Bei der Rückfahrt der Leiter der evangelischen Diakonie Litauens, der uns ganz enthusiastisch zu Gottesdiensten einlud und uns seiner Gemeinde vorstellen will. ... :)

In Lopselis war gestern große Geburtstagsparty – mein Lieblingsmädchen und „Lausmensch“ Karolina wurde 3!! :) War sehr witzig, wie sie alle da saßen mit den Partyhüten auf dem Kopf und Sakotis (Baumkuchen) mampften :) Auch Vida war in bester Laune und verrückt wie eh und je.
Bald möchte ich mein neues Projekt beginnen ... Lopselis mag ich so :)




Gerai, dann viso gero für euch alle und bis zum nächsten Mal!

Eure Sarah.