Montag, 18. Februar 2008

#12 Gescheiterter Iliniza-Gipfelsturm


Samstag, 6.00 Uhr früh: vier verschlafene Österreicher kriechen aus dem Bett und verlassen um 7.00 Uhr die Herberge in Ambato. Die Motivation ist groß, das Ziel klar: die Besteigung des 5120m hohen Iliniza Norte. Mit dem Bus geht’s erst mal zwei Stunden Richtung Quito, dann mit einem klapprigen Dorfbus weiter nach El Chaupi. Zuerst kauften wir in einem kleinen Supermarkt Proviant und Wasser ein, dann überredeten wir die Hausfrau eines Hostals, uns Kaffee zu kochen. Um halb elf saßen wir schließlich auf der Ladefläche einer sehr alten camioneta (Pick up), deren Funktionstüchtigkeit wir - nicht zu Unrecht - in Frage stellten und fuhren zum Fuße des Berges. Bei der turbulenten Fahrt über Stock und Stein und Bächlein wurden wir ordentlich durchgeschüttelt, eine kleine Erhebung auf der Straße verkraftete das Holzbänklein, auf dem wir saßen, nicht und – rums! - krachten wir runter. Den Rest des Weges verbrachten wir daher stehend, Unebenheiten der Straße mit Knien und Oberschenkeln ausgleichend. Dreimal mussten wir absteigen und der camioneta, die im Dreck steckenblieb, anschieben; einmal mussten wir ecuadorianische fünf Minuten (also 20) warten, weil das Gasseil gerissen war.
Um 11.15 Uhr begannen wir bei 3900m den etwas mehr als dreistündigen Aufstieg zu der Schutzhütte „Refugio Nuevos Horizontes“, auf der wir die Nacht verbringen wollten, um am nächsten Tag zum Gipfel des Iliniza Norte zu gehen. Durch schöne und grüne Vegetation führte uns der Weg die ersten zwei Stunden, bis wir durch dichten Nebel und anfangs Nieselregen, dann Hagel zu einem ungemütlichen und steilen Bergrücken aus Schotter kamen. Der Hagel entwickelte sich zu einem dichten Regen und nach einigen Höhenmetern mehr zu Schneefall. Jö, Schnee! Zum ersten Mal erlebte ich Schneien hier in Ecuador! Doch mein Entzücken war nur von kurzer Dauer. GoreTex hielt nicht das, was es verspricht, ebensowenig das wasserabweisende Material meines Rucksacks. Meine Baumwollhose war innerhalb von Minuten durchnässt und meine Finger waren klamm von der Kälte. (Das nächste, was ich mir in Otavalo kaufe, sind ordentliche und warme Alpaca-Fäustlinge; schwor ich mir und verfluchte meine fingerfreien Ein-Dollar-Kunstfaser-Halbhandschuhe.) Der Schnee kam mittlerweile senkrecht daher, wir marschierten erschöpft und langsam, da man auch die Höhe schon zu spüren bekam. Es war mir, als hätte ich Asthma, ich musste manchmal einfach innehalten und tief einatmen, da ich ein Gefühl von Überanstrengung oder Ersticken fühlte. Wir waren alle vier schon ziemlich am Limit, als sich endlich das rettende Dach der Schutzhütte aus dem Nebel löste. Überglücklich taten wir die letzten Schritte, unsere Beine schienen wie von selbst zu gehen und wir traten ein. Bei der auf 4700m gelegenen Hütte handelte es sich um einen provisorischen, ungeheizten, feuchten und sehr kalten Verschlag. Wir waren zwar alleine, aber unsere Vorgänger hatten deutliche Spuren hinterlassen; im gesamten Küchenbereich standen unabgewaschene Teller, Häferl und Essensreste herum. Wir richteten uns ein, zogen unser nasses Gewand aus (schwerer Fehler!), aßen Brot und viel Thunfisch, suchten aus den umstehenden Stockbetten Plätze für uns aus, breiteten unsere Schlafsäcke aus und krochen hinein, in der Hoffnung auf ein bisschen Wärme. Die Wände schimmelten grün und die Matratzen waren feucht. Trotz Hose, Fliespulli, Schlafsack und Decke wich die Kälte nicht von mir. Meine Finger waren so klamm, dass ich sie beinahe nicht mehr bewegen konnte und zum Öffnen der Plastikschnallen meines Rucksacks jeweils zwei Hände verwenden musste! Kurz schlief ich ein, die Erschöpfung wiegte über, doch um 16.00 Uhr waren wir alle wieder wach und beratschlagten uns. Die Kälte war unerträglich, wir zogen in Erwägung, noch am selben Tag den Abstieg zu wagen. Doch da wir nicht in der Dunkelheit und zu Fuß bis zum Dorf El Chaupi wandern wollten, blieben wir. Noch nie in meinem Leben war mir so kalt! Und noch nie in meinem Leben habe ich 10 Dollar für so eine miese Absteige bezahlt!
Wir machten wirklich das Beste aus unserem Aufenthalt im Refugio, wärmten Tee und begannen aus Langeweile alles zu kochen, was sich an Essbarem fand. Einige Wanderer hatten schon Lebensmittel dagelassen und auch wir hatten eine Menge mitgenommen. Wir aßen Schokolade, Kokosett, Bananen, Äpfel, Schokopudding, Streichwurst, Hühnersuppe mit Nudeln, Popcorn und dann wieder Schokolade. Dazu tranken wir Unmengen an Tee, die erste Tasse dank Flo sogar mit Rum, sodass wir jede Weile das sehr kalte Klo draußen aufsuchen mussten. Wir scherzten, sangen und lachten. Als es dunkel wurde, schlüpften wir wieder in die Schlafsäcke, die mittlerweile auch kalt und feucht waren.
Um 22.00 Uhr in der Nacht tauchten plötzlich vier Wanderer auf, die uns um 4.00 Uhr wieder verließen, um den technisch um einiges schwierigeren Iliniza Sur zu besteigen. Die Jungs wirkten um einiges professioneller als wir und waren auch im Besitz besserer Ausrüstung. Draußen lag noch immer Schnee, wir vier hatten bald beschlossen, dass wir den Gipfelsturm am nächsten Tag nicht wagen würden.
Sobald es hell wurde, standen wir auf und wärmten wieder Wasser. Unser Gewand war nicht getrocknet, im Gegenteil, und das am Vortag noch trockene hatte ebenfalls die Nässe und Kälte von der Umgebung angezogen. Einzig die Kleidung, die wir die ganze Nacht am Körper getragen haben, war trocken. Nach dem Frühstück packten wir unsere Sachen zusammen und begannen den eineinhalbstündigen Abstieg.
Um 13.00 Uhr kamen wir wieder in Ambato an. Mir war zwar nicht mehr kalt, aber ich habe die warme Dusche im stillen Gedenken an die Nacht davor, ehrfürchtig genossen. Das klassische Gipfelerlebnis fehlte uns zwar diesmal, aber trotzdem hatten wir genug an Extremsituationen und Grenzen gespürt.

Donnerstag, 14. Februar 2008

#11 Fiestas de Ambato und aktiver Tungurahua

Anfang Februar war die beruehmte Fiesta de las frutas y las flores hier in Ambato. Nirgends in Oesterreich wird so bunt und froehlich gefeiert wie hier in Ecuador! Montag und Dienstag war frei, wegen der Fiestas. Wir haben uns die farbenfrohen Umzuege in den Strassen angeschaut und uns danach unters Volk gemischt. Die Strassen waren voll mit Leuten, die mit Seifenschaum um sich spritzten und mit Mehl warfen. Man spaziert durch die Strassen und attakiert einfach wildfremde Leute. Es war sehr lustig, aber wir bekamen auch genug ab.
Nach den ueberstandenen Feslichkeiten wurde unser Hausvulkan Tungurahua sehr aktiv. Am Dienstag in der Nacht ist Christina aufgeregt in mein Zimmer gestürmt: „Irene, pack di zaum, da Vulkan bricht aus!“ Schlaftrunken rappelte ich mich auf, zog mich an und ging nach unten, wo die madres und die Mädels des Projekts schon warteten. Wir verließen das Haus und gingen nach draußen, wo man den Vulkan donnern hörte. Es war unheimlich, völlig windstill, doch die Fenster der Herberge und der gesamten Nachbarschaft klirrten. Wir liefen aufs Dach, aber der Vulkan war schon mit einer dichten Aschewolke bedeckt, sodass man nichts sehen konnte. Nach einer Stunde ehrfürchtigem Lauschen gingen wir dann wieder zu Bett. Am Tag darauf sahen wir des nachts den Vulkan Lava spucken und starrten abends glühend rote Lavamassen an, die deutlich auftauchten und dann allmählich in der Dunkelheit verschwanden. Ist schon irgendwie spannend, so ein aktiver Vulkan. Was die Medien in Österreich behaupten – von wegen 14 Tote und so weiter, ist laut der Leute hier vor Ort nicht wahr. Wir haben noch nichts gehört von Verunglückten, das Militär ist lediglich dabei, die letzten Leute, die auf den Hängen des Tungurahua wohnen, zu zwangsevakuieren. Viele Menschen wollen nämlich ihre Häuser nicht verlassen, weil sie einerseits ihre Viecher nicht im Stich lassen wollen und andererseits angst vor plündernden Einbrechern in ihren Häusern haben. Von Mittwoch bis Freitag gab es keinen Unterricht in den Schulen, wir hatten daher frei.

Montag, 4. Februar 2008

#10 Fiesta de Don Bosco ohne Fotoapparat

Wie wir ja alle wissen ist am 31. Jänner Don Bosco-Tag. (¡Que viva Don Bosco!) Dafür gibt es natürlich in der Fundación Don Bosco eine ganz spezielle Feier, die am Freitag stattgefunden hat. Mit all den Kindern von Centro und Terminal wurde gefeiert. Und ich Esel habe meinen Fotoapparat daheim vergessen! Dies ist ein Versuch, zumindest einige der zahlreichen wunderschönen Eindrücke des Festes in Worte zu fassen...

● Davíd steht traurig abseits der Gruppe. Ich frage ihn verwundert, warum er sich nicht den anderen anschließt, um gemeinsam den Bus ins Centro zu nehmen, wo das Fest stattfindet. Er schüttelt den Kopf und meint traurig, kein Geld für die Fahrt mitgenommen zu haben. Ich weiß, man soll in einem Land wie Ecuador nicht wie der reiche Europäer auftreten. Aber es waren nur 20 cent, die ich ihm geschenkt habe. Und er lachte wieder.
● Im Bus sitzt die kleine Maritza auf dem Schoß ihrer Schwester Mayra und schaut mit großen Augen aus dem Fenster.
● Im Centro angekommen erwarten uns schon 80 Kinder, laufend, spielend, lachend und 10 Mitarbeiter der Fundación, achtsam, wichtig, Ordnung schaffend, um mit dem Programm anzufangen.
● Marthita und Ceci malen mit bunten Farben und Glitzer die Gesichter zahlreicher Kinder an, die in einer langen Schlange anstehen und neugierig die vollbrachten Kunstwerke betrachten: Schmetterlingsgesichter, Herzen, Früchte und Muster, die sich sehen lassen können.
● Madre Martha malt einem winzigen Kind mit Pausbacken und riesigen Rehaugen rote Herzchen auf die Wangen, ein verzücktes Oma-Lächeln auf den Lippen.
● Davíd steht stumm mitten im Raum, den Mund halb offen, auf der Stirn Denkfalten, die dunkelbraunen Augen groß auf das Geschehen um sich gerichtet.
● Madre Martha überblickt die Menge von Kindern, einen besorgt-suchenden Blick im Gesicht und ein rot gemaltes Äpfelchen auf der rechten Wange.

All diese Augenblicke auf Fotos einzufangen – das hätte ich wohl versucht, wenn ich meinen Fotoapparat bei mir gehabt hätte. Aber ob es möglich ist, solch starke Eindrücke festzuhalten und mittels Bildern später mit anderen zu teilen? Ich bezweifle es und finde mich damit ab, viele Momente einfach nur zu erleben, zu genießen und die verspürten Gefühle und das Kinderlachen als persönliche Erinnerungen tief in meinem Herzen zu vergraben.